So richtig kann man zu Beginn eines neuen – oder zum Ende eines alten – Jahres natürlich nie wissen, was in den nächsten 12 Monaten passieren wird. Das ist gut so. Denn hätte ich es gewusst, ich hätte 2017 einfach übersprungen und dann vieles verpasst. Ich kann nur ehrlich nicht sagen, ob ich es nicht trotzdem gemacht hätte.
Und nun heule ich auch schon. Der Grund, warum ich mir nicht sicher war, ob ich wirklich über das heute endende Jahr schreiben sollte oder nicht. Ich wusste, dass ich das nicht ohne Tränen formulieren kann. Ich wusste, dass es schwer wird. So gerne würde ich mich diesen Emotionen einfach entziehen. Aber auch das ist wohl eine der Lektionen, die ich gelernt habe: Man muss durch die ganze Gefühls-Scheiße durch. Mitten hinein. Einatmen, austamen. Es schmecken, es auskotzen. Über Nagelbretter rennen und in Kissen heulen. Nur das kann es besser machen.
2017 war ein okayes Jahr. Hätte ich Ende 2016 einen Jahresrückblick veröffentlicht, hätte das deutlich euphorischer geklungen. 2016 war so ein wichtiges Jahr für mich und meine Persönlichkeit, dass ich den angemessenen Text dazu nie fertig bekommen habe. Es ist ja auch immer so schwierig, über das Vergangene zu reden, wenn im Jetzt auch schon wieder die Zukunftsangst steckt. Ich wusste, dass dieses Jahr anders werden würde. Ich hatte Pläne, die mein Leben grundlegend ändern sollten – im positiven Sinne natürlich. Wer plant schon gezielt eine Verschlechterung der eigenen Lage ein? Ich tue das zumindest weniger denn je.
Warum ich die ganze Zeit, bei jedem Buchstaben hier heule, ist für die meisten, die mich kennen klar. Mein (Pflege-)Pferd ist gestorben. Und es ist einfach das Schlimmste. Würde ich eine Gegenüberstellung der guten und schlechten Dinge, die in letzter Zeit passiert sind, machen, es kämen mehr gute zusammen. Aber nichts davon kann diesen Verlust ausgleichen. Über die Monate hinweg habe ich mir eine Erklärung für diese unermessliche Traurigkeit, die in mir ist, zusammengereimt. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob das alles wirklich meine Gedanken waren oder ob ich mal so etwas in der Art gelesen habe. Aber die Erklärung lautet wie folgt: Man wird über eine Situationen immer in gleichem Maße traurig sein, wie man zuvor glücklich war. Oder andersrum meinetwegen auch. Auf jeden Fall ist das eine nicht ohne das andere möglich. In den meisten Fällen. Im gleichen Moment stellte ich mir auch die Frage, ob es nicht schöner wäre, beide Extreme einfach nie zu haben. Zwar nie das ganz große Glück, aber auch nie mehr diese tiefe Verzweiflung. Ich wollte das nicht mehr fühlen. Es ist so schwer.
Und während ich hier jetzt wieder schluchzend heule, versuche ich mich an das zu erinnern, was mich über die letzten Monate gebracht hat: Diese Traurigkeit nimmt kein Ende, weil ich auch einfach so endlos glücklich mit diesem kleinen, braunen Pferd war. So viele Gründe sind mir eingefallen, warum es mich so verzweifeln lässt, dass er nicht mehr da ist. Es ist alles absolut verständlich. Ich vielleicht heule ist noch die nächsten 10 Jahre darüber. Vielleicht werde ich nie darüber reden können, ohne Tränen in den Augen zu haben. Vielleicht ist es aber auch das größte Liebesgeständnis, das ich diesem Tier machen kann. Und wenn es das ist, dann ist es okay.
Danke, dass ich so krass glücklich sein durfte, dass es mich jetzt fast umbringt.
Suizidgedanken – aber auch die Angst vorm Sterben –, Selbstverletzendes Verhalten, Panikattacken, hysterische Heulkrämpfe und Flashbacks an traumatisierende Erfahrungen waren 2017 so präsent wie lange nicht.
Gleichzeitig aber lernte ich mehr, mit mir klarzukommen. Ich bestreite irgendeinen Weg Richtung Selbstakzeptanz und Selbstliebe. Es geht um Selfcare und gesunden Egoismus dabei. Und ich mache weiter. Denn es läuft ganz gut.
Das größte Thema in Sachen Diabetes war in den letzten 12 Monaten absolut der Kampf um die dauerhafte Hilfsmittelgenehmigung meiner Insulinpumpe – in diesem Monat bekam ich endlich die Zusage.
Die Multiple Sklerose hinkt wie immer so nebenher. Ich merke immer wieder, dass mich irgendetwas bremst, mich damit in der gleichen Form wie mit dem Diabetes auseinanderzusetzen. Darum erwähne ich hier recht wenig darüber. Die häufigsten Symptome, die ich mit mir rumschleppe, sind Fatigue und Empfindungsstörungen.
Die Depressionen wurden 2017 durchaus getriggert. Trotzdem bin ich – eventuell durch die Erhöhung der Antidepressiva-Dosis – weniger darin versunken. Dennoch nehme ich mich dauerhaft als depressiv wahr und habe verstanden, dass meine gefühlte Einsamkeit ein Teil dieser Krankheit ist und mir deswegen auch so irrational wehtut. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendwann anders sein wird. Ich hadere weniger damit als früher. Ich erwarte nicht mehr, dass die richtig schlimm depressiven Phasen nicht wiederkommen. Und damit ist es okay.
„(Nicht mehr) hadern“ und „Okay (sein)“, das ist, was 2017 ausgemacht hat. Und zwar im Unterbewusstsein. Desto angestrengter ich versuche, mich bewusst okay zu finden, desto mehr entsteht Selbsthass. Auf Knopfdruck mit etwas nicht zu hadern ist ebenso nahezu unmöglich. Aber irgendetwas entwickelt sich in mir, was dazu führt, mit dem Leben klarzukommen.
Fünf vollgeschnupfte Taschentücher liegen jetzt neben mir. Ein Kalender für 2018. Eine brennende Kerze. Mein Handy. Ich habe kalte Hände und keine Ahnung, wie lange ich hier schon tippe. Wenn ich denke: „Oh, ich weine aber gar nicht mehr.“, geht es sofort wieder los. Darum versuche ich das nicht zu denken. Sondern ich atme einfach. Weil das zum Leben gehört. So wie der ganze Rest und der Tod auch. Glück und Verlust in gleichgroßem Umfang. Eine Lampe leuchtet. Auf mich und auf das, was ich euch noch erzählen wollte, bevor ihr euch in das neue Jahr stürzt.
Seid entspannt; lasst euch treiben; vertraut auf irgendetwas – in erster Linie aber auf euch selbst -; macht, was euch gut tut; öffnet eure Herzen für alles und passt trotzdem auf euch auf; und wenn das alles nicht klappt, wird es dafür an irgendeiner Ecke Hilfe geben. Versprochen.
Danke an die Menschen, die 2017 da waren. Kümmert euch bitte gut um euch. Wenn ihr dazu Zimtschnecken braucht, sagt Bescheid.
Taschentuch Nummer 6. Und in ein paar Stunden das Jahr 2018. Ruhig Blut, alles gut.