Die Angst vorm Leben vs. Die Angst vorm Sterben

Es gibt so Texte, da weiß ich nicht, ob es gut ist, sie zuveröffentlichen. Dieser hier gehört dazu.
Bitte lies den Post nur, wenn du mit Gedanken über den Tod klar kommst – ich tue das selbst nicht immer.

Lasst uns über Selbstmord reden, bitte. Es ist schwer, darüber ein Gespräch zu führen, ohne das Gegenüber zu überfordern. Weil das Thema Angst macht und niemand will, dass irgendjemand, den er kennt, jemals freiwillig sein Leben beendet. Aber ich denke, nicht jeder, der manchmal über Suizid nachdenkt, will wirklich sterben. Es sind nur bestimmte Momente, die diese Gedanken triggern. Gestern die einfahrende S-Bahn, heute der Kopf unter Wasser in der Badewanne, morgen die Konzentration auf die Bäume am Straßenrand. Ich möchte darüber reden, ohne Besorgnis auszulösen, ohne Hilfe angeboten oder aufgezwungen zu bekommen, ohne die Absicht, mich wirklich umzubringen. Niemand soll sich hier von animiert fühlen, seinem Leben ein Ende zu setzen. Das Leben ist schön.
Wenn ich vor etwas große Angst habe, denke ich jedes Mal, wie viel leichter es wäre, jetzt einfach gegen den nächsten Baum zu fahren. Egal, ob ich im Krankenhaus oder im Himmel lande, ich wäre der Situation aus dem Weg gegangen.

Der Tod als eine Art erweiterte Komfortzone
– das liest sich noch schlimmer, als es sich denkt.

 Aber das Gefühl, dass alles einfacher wäre, würde man tot sein, ist doch kein exklusives Ding von mir, oder? Manchmal sehe ich Freunde, Familienmitglieder oder Verkäufer im Stamm-Supermarkt an und frage mich, wie es ihnen ginge, wäre ich tot. Oder sähen wir uns gerade zum letzten Mal. Nur, dass sie es gar nicht wüssten. Oder ich bin in einer Phase, in der ich denke, dass mich niemand vermissen würde, wenn ich weg wäre. Und einen Tag später sehe ich jemanden, bei dem ich plötzlich weiß, dass dieser Mensch furchtbar traurig wäre, wenn ich beschließen würde, zu gehen. Je nach Stimmung, will ich sogar, dass (bestimmte) Leute traurig sind. Meistens ist es aber nur der Wunsch nach der Gewissheit, irgendetwas zu hinterlassen. Wenn schon kein Stadion, das nach mir benannt wird, dann wenigstens eine Lücke. Eine Kleine.

Ab und zu gerate ich richtig unter Stress, weil ich nicht weiß, welche Musik auf meiner Beerdigung laufen sollen würde. Und allgemein diese Sache mit der Bestattung, da habe ich auch keine Lösung für.

Und ich will ja auch gar nicht sterben. Am liebsten nie. Und schon gar nicht jetzt.

Ich habe furchtbare Angst davor sogar. Ich habe Angst davor, zu früh zu sterben. Zu früh, um alles erlebt zu haben, was ich wollte. Ich habe keine Bucket List, aber mein Lebensplan umfasst noch mehr als 50 Sommer.

Ich habe Verständnis für Selbstmorde. Und noch einmal meine große Bitte: Seht das nicht als Absolution für einen Schritt, der euch für immer Katzen, Konzerte und Käsekuchen verwehren wird. Aber ich verstehe, wenn es nicht mehr geht. Nicht, dafür, wenn man keinen Ausweg mehr sieht, sondern dafür, wenn es keinen mehr gibt. Keine Ahnung, wie das mit dem Leben nach dem Tod, Wiedergeburt oder sonstigen fancy Geister-Sachen ist. Aber wenn der Zustand, den das Leben bietet, für jemanden nicht mehr auszuhalten ist, sollte man doch die Wahl haben, es zu beenden. Denke ich. Ich wünschte, ich müsste mich in meinem Kopf nicht schon wieder so viel für diesen Text entschuldigen. Aus Angst, Selbstmord-Gedanken zu triggern und aus Angst, jemandem Sorge zu bereiten.

Ich möchte doch einfach nur über Selbstmord reden. Und über die Momente, in denen der Gedanke daran hilft, weiterzuleben.
 
Ich habe die Wahl. Ich habe die Wahl, so zu leben, wie ich es tue, ich habe die Wahl, es zu ändern oder es zumindest zu versuchen, ich habe die Wahl, nicht mehr zu können, ich habe die Wahl, mir bewusst zu machen, dass es Anlaufstellen gibt, die mir helfen können, aber ich habe auch die Wahl, an meinem persönlichen Ende Schluss zu machen. Ich finde es furchtbar, wenn dort andere Menschen mit hineingezogen werden. Lokführer, Autofahrer aus dem Gegenverkehr oder auch die Person, die dich als erste findet, wenn du deinen Körper zurück gelassen hast. Ich rede nicht davon, aus Liebeskummer von einer Brücke zu springen – und damit spreche ich niemandem die Grausamkeit von Liebeskummer ab – ich rede davon, dass du weißt, dass es sich nie mehr bessern wird. Und dann, dann rede ich vielleicht von einem assistierten Suizid. Aber ich rede nicht davon, etwas furchtbares zu tun.
Manchmal habe ich beim Einschlafen große Angst, morgens nicht wieder aufzuwachen, stelle mir vor, wie meine Mutter irgendwann nach mir schaut und sieht, dass ich nicht mehr atme. Daran ist nichts schön, daran ist nichts befriedigend, daran kommt nichts einer Lösung gleich. Und vor allem wäre daran nichts freiwillig. Das ist mein Problem mit dem Sterben: Der Tod fragt nicht. Und ich will verdammt nochmal mitentscheiden dürfen. Ich weiß nicht, wann es soweit sein wird. Wie es wird. Ein tragisches Unglück, ein Mord, wegen einer Krankheit oder einfach Altersschwäche. Und vielleicht entmystifiziere ich das für mich, indem ich darüber nachdenke, die Entscheidungsfreiheit zu haben.

Die Entscheidungsfreiheit, dann zu sterben, wenn ich damit klar komme.

Wenn ich am Ende eines perfekten Tages glücklich bin, etwas erlebt habe, was auf meiner Bucket List stünde, hätte ich eine, dann denke ich hin und wieder: „Jetzt könnte ich sterben, jetzt wäre es okay.“ Und ebenso habe ich in genau diesen Momenten, in den glücklichsten, am meisten Angst davor, dass es irgendwann tatsächlich zu Ende sein wird. Mein Leben.

Mein Leben ist recht eintönig, zumindest die meiste Zeit. Ich hätte, soweit es meine Erkrankungen zu lassen, die Wahl, es anders zu gestalten. Aber dieses Leben gibt mir das Gefühl, die Kontrolle zu behalten. Ich hatte immer Angst vor: Geburt, Schule, Ausbildung/Studium, Vollzeitjob, Heiraten, Kind kriegen, Haus bauen, Teilzeitjob, Rente, Tod. Wenn ich diesen Rahmen sprenge, lebe ich nicht richtig, also sterbe ich auch nicht richtig. Die Angst vorm Tod bringt eine Angst vorm Leben mit sich. Ich verpasse viel. Das ist einer der Gründe, der mich immer wieder in depressive Phasen stürzen lässt. Und mit diesem Lebensstil verpasse ich immer weiter wichtige, schöne, lehrreiche Sachen. Diese Situation ist so paradox. Denn das ist nicht das Leben, das ich vor dem Tod gehabt haben will. Vor meinem Tod. Mein Leben.
Das, was im Moment in der Welt passiert, macht mir fürchterlich Angst. Ich bin kein sehr politisch interessierter oder gar aktiver Mensch, auch wenn ich es gerne wäre, weil mir das genauso erstrebenswert zu sein scheint, wie Bank-Kram zu durchblicken oder problemlos Fremdsprachen zu beherrschein. Aber mein Kopf will dafür nicht auch noch Platz machen müssen. Und dann habe ich mich damit abgefunden, für mein momentanes Leben. Aber jetzt geht das nicht mehr. Ich denke, niemand kann das im Moment noch. Weil es Angst macht. Und dann denke ich manchmal:

Wenn hier Krieg ausbricht, wenn ich dem allem nicht mehr gewachsen bin, dann kann ich den Tod wählen. Das gibt mir den Mut, weiter zu machen. An die Zukunft zu denken. Ich möchte doch einfach nur sagen, dass ich über Selbstmord nachdenke, aber dass ist gerade echt nicht sterben will.

Ich habe keine Ahnung, wo ich in 10 Jahren sein werde. Ob ich mich für einen Bauern auf RTL interessiere, ob ich immer noch nicht fassen kann, wie schön die Farben der Welt sind und ob ich mich bis dahin überwinden kann, Erbsen zu essen. Wie oft werde ich denken, dass Sterben jetzt „okay“ oder aber eben der einfacherer Weg wäre? Und ob ich in 10 Jahren die Person kenne, deren Leben mir wichtiger ist als meins? Und was ist eigentlich mit dieser „Lebe jeden Tag, als wär’s dein letzter“-Sache? Bin ich die einzige, die da nicht vorhätte, bis zu dem Moment zu warten, an dem es Puff macht und alles ist aus? Habt ihr da mal drüber nachgedacht? Ich meine, wäre dann Punkt 24:00 Uhr Schluss? Bis wohin plane ich denn meinen letzten Tag bitte? Und planen und leben, das widerspricht sich doch auch wieder nur. In meinem Kopf gibt es so viel, was gedacht werden will. Und manchmal möchte ich dann einfach nur über irgendetwas sprechen. Über Selbstmord zum Beispiel. Und das ganz ohne Folgen.

2 Kommentare zu “Die Angst vorm Leben vs. Die Angst vorm Sterben”

  1. Liebe Katharina,

    Dank für Deinen Mut und Deine Zeilen!

    Ich kann nicht alle Gedanken von Dir nachvollziehen, das ist ja auch das Schöne an Menschen …

    Ich habe selbst seit 1998 Diabetes Typ1, seit 2006 Chronisch lympahtische Leukämie (CLL). Chemos waren 2006 und 2009. Eine Stammzellentransplantation fand 2010 wg. der CLL statt.

    Nach meiner ersten Chemotherapie wusste ich, dass es in absehbarer Zeit eine Nächste geben kann. Und da habe ich mir immer wieder eingeredt: Wenn ich wieder auf diesem Infusionstuhl sitzen muss, dann will ich mir selbst nicht vorwerfen müssen, irgendwas in meinem NICHT ausprobiert zu haben. Das hat mir sehr geholfen.

    Aktuell habe ich eine Hirntumor, der eher zufällig bei einer Epilepsie-Untersuchung festgestellt wurde. Diesmal beklemmend: Zu den mich jetzt behandelnden Ärzten habe ich keinerlei Vertrauen. Also lasse ich mich von Ihnen – so es möglich ist – auch nicht behandeln. Ich bin zur Zeit krank geschrieben und weiß nicht, was wann & wo demnächst passiert. Das ist ziemlich dämlich und ich muss versuchen, so schnell wie möglich ein auf Hirntumor spezialisiertes Kompetenzzentrum zu finden (also wirklich ZUSAMMEN arbeitende und im Sinne des Patienten motivierte Neurochirurgie- & Neurologieabteilungen und poststationärer Nachbehandlung => Strahlen-/Chemotherapie & psychologischer Unterstützung).

    Dir alles Gute und Danke für Deine Zeilen!

    Karsten

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