Zähnchen für Zähnchen gibt der Schieber des Reißverschlusses frei, als ich ihn mit der rechten Hand hinten an meinem Rücken hinab ziehe. Das, was er zusammenhielt, klafft jetzt auf, wie eine Wunde aus heiler Haut. Der Reißverschluss endet dort, wo der Rücken links und rechts neben der Wirbelsäule diese kleinen Grübchen hat. Ich greife nach vorn, fasse die Spitze des Handschuhs vom linken Mittelfinger und ziehe meine Hand und meinen Arm aus dem Ärmel. Die Luft kneift mich. Ich befreie auch meine rechte Hand, meinen rechten Arm. Langsam rolle ich das Teil über meinen Oberkörper runter zum Bauch. Bis nur noch mein Po, meine Beine und die Füße bedeckt sind. Ich bekomme besser Luft. Eine Hand links, eine Hand rechts (die linke Hand links, die rechte Hand rechts) ziehe ich die eng anliegende Attrappe eines Nichts zu meinen Füßen und strampele sie ab.
Die Leute glauben, ich hätte mir einen Neoprenanzug aus- oder mir gar mein Fell über die Ohren gezogen.
Dabei ist es ganz simpel: Ich habe mir mich ausgezogen – ich habe mich von mir befreit.
Dabei ist es ganz simpel: Ich habe mir mich ausgezogen – ich habe mich von mir befreit.
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Als ich klein war und es noch Grenzkontrollen auf dem Weg nach Dänemark gab, wurden wir auf dem Weg in den Familienurlaub angehalten. Ich hatte geschlafen und wurde von Stimmen wach. Eine Frau in Uniform fragte mich, ob es mir gut gehe und ob ich mir sicher sei, die Tochter meiner Eltern zu sein.Grundsätzlich war ich mir da doch recht sicher bei. Als wir weiterfuhren überkam mich das Gefühl, gar nicht zu wissen, wer ich bin. Vielleicht hatte ich die Frau angelogen? Ich überlegte, ob unter meiner Haut jemand anderes ist. Dass ich am Rücken einen Reißverschluss haben könnte, den ich einfach nicht sehen kann, weil er ja an meinem Rücken ist. Ich stellte mir vor, dass ich diesen “Körperanzug” ausziehen kann und hatte das Bild im Kopf, dass darunter ein Gorilla hervor käme. Heute habe ich genug Yoga-Übungen hinter mir um mir sicher zu sein, dass dort am Rücken weder etwas zu sehen, noch zu ertasten ist. Zudem fürchte ich auch nicht mehr, eigentlich ein Gorilla zu sein – darüber bin ich tatsächlich ganz froh.
Aber was bitte steckt denn nun unter dieser Oberfläche? Ist da mehr als ein Herz, eine Seele und ne schwache Blase?
Das ist Teil unseres Lebens: wir suchen wer wir sind, wahrscheinlich unser ganzes Leben lang. Das liegt einerseits daran, dass wir uns jeden Tag besser kennenlernen und andererseits daran, dass wir uns jeden Tag verändern. Manchmal merken wir, dass wir uns nicht so benehmen wie wir eigentlich sind, oder wie wir uns eigentlich fühlen, dass wir mit einer Maske, oder einen Neoprenanzug wie du es nennst, durch die Welt laufen.
Und dann wenn wir darüber nachdenken wer wir denn eigentlich sind, wen wir da verstecken, dann merken wir, dass wir das selbst gar nicht wissen.
Ich sehe das als Abenteuer an, mich selbst kennen zu lernen, neue Seiten zu entdecken, aber auch zu akzeptieren, dass mich nicht die Dinge glücklich machen, die viele andere glücklich machen. Mal ist es einfach, mal schwerer, aber am Ende doch total wert. Es ist eine spannende Herausforderung.
Es ist in Ordnung nicht zu wissen wer wir eigentlich sind 🙂