Warum ich, wenn es meinem Herz, meinem Kopf, meinem In-mir-drin, nicht gut geht, immer Lippenstift tragen will, weiß ich nicht. Aber ich male mir die Lippen in den meisten Fällen dann an, wenn es schon spät ist, ich Schlafsachen trage und mein Herz Theater macht. Mein Herz hat verschiedene Stücke im Repertoire. Von absoluter Empfindungslosigkeit über marathonartiges Rasen bis hin zum Schmerz, der mich zum Würgen bringt.
Heute Abend trage ich Lippenstift im Bett – und das hat überhaupt nichts sinnliches an sich.
Warum… warum alles. Eigentlich. Warum ist nicht alles egal und warum ist nicht alles wichtig.
Ich würde so vieles gerne sehen, fühlen, kennenlernen. Das hat was mit Sehnsucht und Angst zu tun. Angst davor, zu viel zu verpassen. Gefühlt habe ich meine Jugend verpasst. Und von der Kindheit auch einiges. Und damit beschäftige ich mich so viel, dass ich den Start vom Erwachsensein auch nicht richtig mitbekomme. Ich habe etwas in mir – ein Loch im Glücks-Asphalt oder irgendetwas anderes, das sich scheiße anfühlt – für das ich eine Lösung suche. Die Lösung, die das weg macht. Ich suche in Freundschaften, bei anderen Menschen. Und ich werde enttäuscht, weil mir das, was ich brauche, nie jemand geben kann. Und ich will es so sehr. Ich will, dass es einfach passiert und weg ist. Dass ich das, was ich suche, gefunden habe. Dass ich mich nicht mehr anstrengen muss, dass ich nicht mehr nett sein muss, nur um an den Punkt zu kommen, an dem mir endlich jemand genug Liebe gibt, damit ich mich selbst nicht lieben muss. Aber es klappt nicht. Dieser Plan geht nicht auf. Ich muss mich selbst lieben und ich weiß einfach nicht wofür. Ich bin nett und ich kann backen. Ich bin fett und ich hab fette Backen. Ich kann das einfach nicht. Ich bin streng mit mir, ja. Weil es für mich ganz einfach ist: Wenn ich nicht zu 100% gut bin, bin ich nicht gut. Dann bin ich zu 100% schlecht. Scheiß auf Zwischentöne. Scheiß auf Graustufen. Im Gegenzug verstehe ich aber auch nicht, wie sich andere Menschen lieben können – sich selbst, meine ich. Gegenseitig lieben check ich, damit komm ich klar. Darum will ich das ja auch, dass mich wer K.O. liebt. Dass mich wer umliebt. Dass mich wer liebt, bis es okay ist. Ich finds nicht fair, dass ich das erledigen soll. Ich will die Welt verstehen. Ich will damit klarkommen, nicht die Art Frau zu sein, die ich gern wäre. Es hilft doch nichts, mich nur auf das, was nicht da ist, zu reduzieren. Aber in meiner Welt ist es so: Es gibt schöne Menschen (alle Menschen, die ich mag, sind irgendwie schön, weil sie schön sind) und es gibt hässliche Menschen (z.B. die, die bei Bauer sucht Frau oder ähnlichem Kandidat sind). So. Schöne Menschen kommen im Leben zurecht, weil sie schön sind – ob jetzt innerlich, äußerlich, an der Magenwand oder am großen Zeh – und behandelt werden, wie schöne Menschen. Hässliche Menschen kommen im Leben zurecht, weil sie nicht merken, dass sie hässlich sind – ob in irgendeiner Gehirnwindung oder in der linken Achselhöhle – und leben aber so, als wären sie schön. Und ich bin offensichtlich der einzige hässliche Mensch, der merkt, dass er hässlich ist und darum nicht klarkommt. Ja, ich steigere mich da jetzt rein. Aber ich trage Lippenstift, also habe ich das Recht dazu.
Ich möchte weg. Und danach zurückkommen können. Doch dann ist immer etwas anders, und wenn es nur der Himmel ist. Ich will nach Dänemark. Ich will es so sehr, dass es mich nur noch traurig, anstatt froh macht. Wegen der Sache mit der Liebe, die ich immer über andere, aber bloß nicht über mich selbst schütte, möchte ich immer alles teilen. Wenn es jemals nötig wäre, ich würde meinen O.B. in der Mitte durchschneiden, damit niemand anders im Regen stehen muss. Oder halt im Blut. Und weil ich teilen will, will ich große Sachen nicht allein erleben. Und weil ich Angst habe, will ich große Sachen auch nicht allein erleben. Ich will die Grundlage für Verstanden-werden haben. Ich will mich verstehen und mir genügen und das machen, wonach mir ist. Ich will das Leben fühlen, aber nicht spüren, wie die Tage vergehen. Wenn es mal vorbei ist, ohne, dass ich genug bekommen habe, habe ich selbst Schuld. Und das ist scheiße.