Meine Angst, ein Pflasterstein. Rechteckig, grau. Es ist schaffbar, ihn zu verstauen. Er könnte sogar nützlich sein.
Meine Erschöpfung, ein Orient-Teppich. Dunkel, schwer, 2×3 Meter groß, flauschig. Es ist schwer ihn zusammenzurollen. Körperlich anstrengend. Liegt er ungünstig, rollt er sich sofort wieder ab und breitet sich aus. Um ihn außer Sicht- und Gefühlsweite zu bringen, müsste er irgendwie durch eine Tür passen. Aber ich schiebe ihn immer wieder quer, die drei Meter breit, gegen das viel schmalere Türloch. Wenn ich ihn der Länge nach durch die Tür schaffe, ist da nichts. Das Bild verschwindet sofort und ich finde mich in der Ausgangsposition wieder.
Mein Leben, eine Seifenblase. Klischeehaft: Schillernd, zerspringt bei dem kleinsten Kontakt. Aber es ist keine kleine Pustefix-Seifenblase. Es ist so eine große, die mit Vorsicht erschaffen wird und die etwas träger schwebt, als die kleinen. Sie soll dableiben. Lässt sich aber viel leichter beseitigen, als der Pflasterstein und der Teppich.
Diese Bilder entstanden heute während der Therapie in meinem Kopf. Diese drei Kategorien: Angst, Erschöpfung, Leben. Ich dachte, die Angst wäre das unhändelbare. Aber es war die Erschöpfung, die die ganze Aufmerksamkeit bekam. Die Erschöpfung erschöpfte mich. Erschöpft mich. Weil sie schwer ist und ich sie trage, wenn sie nicht gerade ausgerollt den Boden unter meinen Füßen bildet. Ich schleppte diesen Teppich umher und habe keine Hand mehr frei. Vielleicht bekomme ich den Pflasterstein sogar noch mit einem Fuß aus dem Weg geschoben. Aber wie macht man denn ne Seifenblase ohne Hände? Wie umarmt man Menschen und wie versorgt man sich richtig? Meine Erschöpfung bildet den Rahmen, mir zu erlauben, etwas nicht zu müssen. Ich bin erschöpft, ich kann heute nur Fast Food essen. Ich bin erschöpft, ich kann hier nicht aufräumen. Ich bin erschöpft, ich kann heute nicht mit Menschen in Kontakt treten. Meine Erschöpfung ist etwas massives, kein fliegender Teppich, der andere beeindruckt. Die Erschöpfung, von der ich rede, ich alt. Es geht nicht darum, dass das Wochenende wenig Schlaf beinhaltete oder mir die Überbleibsel des Schubs zusetzten. Es geht darum, dass ich das Alte vor mir herschiebe. Ich bin erschöpft vom Mobbing, das viele, viele Jahre her ist. Ich bin erschöpft von der Scheidung meiner Eltern, was auch über 10 Jahre her ist. Die Zeit die danach kam, hat mch gelähmt. Ich bin erschöpft, weil ich nie richtig Teenager war. Ich bin erschöpft, weil ich krank war. Und immer Kraft brauchte, um gesund zu werden und verpasstes nachzuholen. Ich bin erschöpft von der Diabetes-Diagnose vor 7 Jahren, erschöpft von den anschließenden 9 Monaten Fieber. Von der direkt darauffolgenden Sozialen Phobie, der darauf diagnostizierten Depression. Seit 2008 rannte ich von Arzt zu Arzt, weil ich Beschwerden hatte, die nichts mit meiner Psyche zu tun hatten. Bis mir im letzten August die MS-Diagnose gestellt wurde. Das hat mich erschöpft. Es hat mich erschöpft. Dann ich schon meinen Realschulabschluss nicht auf “normalem” Wege gemacht habe, dass ich mein FÖJ nach nicht einmal der Hälfte der Zeit abgebrochen habe und dass ich dann wieder Monatelang mit mir alleine war. Das ist ein riesiger, nach Kuhfladen stinkender Teppich aus Erschöpfung, die alt ist. Die hat ja nichts mit dem jetzt zu tun. Es ist okay, sie einzurollen, wegzulegen und dafür eine schöne Picknickdecke dabei zu haben. Aber diese Erschöpfung war solang der Boden unter meinen Füßen. Selbst, wenn ich gefallen bin, landete ich immer auf meinem flauschigen Teppich.
Es ist okay, noch beeinträchtigt von den letzten Wochen zu sein, sage ich mir. Aber das Alte darf damit nichts zu tun haben, muss ich mir sagen. Aber es macht mich nervös.
Kopf hoch. Es gibt immer einen Weg. Und geht irgendwo eine Tür zu, geht woanders ein Fenster auf, durch das man gehen kann. Bei mir war es, auch wenn nicht ganz vergleichbar, das erste Verschreiben einer Brille. ich wollte partout keine habe. heute kokettiere ich damit, indem ich sie oder auch Kontaktlinsen als Bestandteil meines Outfittes mache