Ich halte die Löschtaste der Tastatur 86 Sekunden lang gedrückt, um das, was ich aus meinem Gehirn gekratzt habe, wieder unsichtbar zu machen. Getippt habe ich zuvor sicherlich die 100-fache Zeit. Aber weg geht es dann so einfach wieder. Natürlich hätte ich auch den Textblock markieren und mit einem Tastendruck löschen können. Aber das wäre dann doch wieder zu einfach. So läuft das in meinem Gehirn: Zu einfach ist nicht aufwendig genug. Ich liebe Aufwand. Er erschöpft mich. Und wenn ich erschöpft bin, dann gibt es auch keine Energie mehr zum Fragen stellen. Fragen stellen an irgendwen, an alle. Und wenn doch, dann bekomme ich nie die Antworten, die ich suche. Das erschöpft dann nicht nur, sondern es tut mir weh. Darum lieber genug Aufwand betreiben, um nichts herauszufordern, das weh tut. Ich bin zu erschöpft dafür, versuche es dennoch weiter. Ohne Aufwand ist es doch nicht schön. Ohne Aufwand ist es einfach. Und das macht mir Angst. Weil es nicht berechenbar ist. Mein Gehirn ist ein Terrorist. Mein Herz ein Friedenskämpfer. Vielleicht auch andersrum. Aber Fakt ist, dass sie selten miteinander auskommen. Ich glaube, mein Herz ist der Terrorist. Nein, mein Gehirn. Und wahrscheinlich ist es doch einfach meine Bauchspeicheldrüse, die längst den Freitod im Namen des Zuckergottes gewählt hat oder die Entzündungsherde, die mein Gehirn im MRT wie einen Fliegenpilz erscheinen lassen – aber das ist etwas anderes. Ich betreibe stets Aufwand, um nett zu sein. Aber ich denke oft böse. Ich denke hinterhältig. Ich denke abwertend. Ich denke brutal. Ich denke gemein. Ich denke unfair. Ich denke wie ein richtig schlechter Mensch. Und desto mehr ich das tue, desto mehr mache ich nette Dinge. Weil ich nicht bereit dafür bin, scheiße zu sein. Aber ich bin es. Ich weiß es ganz genau. Manchmal wünsche ich Menschen aus meinem nahen Umfeld schlimme Sachen. Einfach so. Und durch irgendwas nettes entschuldige ich mich dann dafür, und sie wissen gar nicht, wofür. Ich weiß nicht, wie andere damit klar kommen, ein schlechter Mensch zu sein. Im Auto bei lauter Musik zu schreien hilft nicht, das habe ich versucht. Es hilft auch nicht, sich selbst zu bestrafen – auch nicht, wenn man darin richtig gut geübt ist. Gleichgültigkeit wäre vielleicht eine Option, aber damit habe ich es so gar nicht. Ich krame in meinem Gehirn nach etwas, das mir gleichgültig ist. Ich finde nichts. Nicht mal Dinkelmehl ist mir gleichgültig. Ich mag Dinkelmehl. Und wenn ich etwas mag, dann dreht die Nettigkeit in mir so richtig auf. Ich schätze, dies ist ein Mechanismus, damit ich zurück gemocht werde und man den schlechten Menschen nicht gleich erkennt. Wenn ich etwas nicht mag, dann auch das mit Leidenschaft. Den Geruch von Thunfisch aus der Dose zum Beispiel. Ich könnte Gedichte über meine Abneigung darüber schreiben. Oder böse Gedanken gegenüber den Menschen haben, die gerne Dosen-Thunfisch essen. Ich kann Leute wegen so unwichtigen Angelegenheiten scheiße finden. Was okay ist, weil ich mich auch wegen Kleinigkeiten nicht leiden kann. Habe ich vor etwas Kleinem ein klein wenig Angst, bin ich bei mir schon unten durch. Ich will mutig sein. Ich will aufrecht gehen und ein gutes Herz haben. Aber ich weiß immer noch nicht, ob mein Herz gut ist oder mein Gehirn oder ob es die Haare an meinen Beinen wären, die ich immer mit dem Epilierer herausreiße. Ich zeige meinem Umfeld ein Bild auf, das wirkt, als wolle ich in einer regenbogenfarbenen Zuckerwatte leben. In klebriger Süße. Aber ich bescheiß mich selbst. Und ich weiß nicht warum. Ich weiß nicht, warum ich mir nicht eingestehen kann, ich zu sein. Ich werde schon nicht so grausam sein und Kinder in Pfützen schubsen. Aber weniger nett wäre so befreiend.