Wird alles gut, oder was?

Ich habe Angst, dass sich das Damals morgen wiederholt, weil ich heute in einer alten Situation bin – mal wieder.

Die Situation von heute: Ich bin ich. Und ich bin nicht jemand anders – und schon gar nicht jemand anders ohne Typ 1 Diabetes, Depressionen und MS. Doch ich erwarte von mir, genau so belastbar zu sein. Physisch und psychisch und überhaupt in allen Lebenslagen. Durch diese Erwartung habe ich mal wieder mit Selbsthass anstatt mit Akzeptanz auf meine Erschöpfung reagiert. Vor drei Wochen hat mein Körper “Achtung!” gesagt und ich habe es in ein “Ich bin scheiße” übersetzt. Also habe ich noch ein paar Tage weitergemacht, bis “Achtung” zu “Am Arsch” wurde und ich meinte, ein, zwei Tage Ruhe würden mir genug Kraft zurückgeben, um weiterzumachen. (Reicht doch bei den anderen auch). Hat nicht gereicht, aber ich habe noch ein bisschen weitergemacht. Dann war Wochenende und trotz Ausruhen am Samstag, wurde es am Sonntag und Montag schlimm. Wirklich schlimm. Ich konnte nicht mehr normal Schlucken, hatten teilweise über eine viertel Stunde Schluckauf und hatte kein richtiges Gefühl in Füßen und Unterschenkeln. Bedeutet: Ich habe 48 Stunden fast durchgehend im Bett verbracht. Am letzten Dienstag wurde es wieder besser: Kein Schluckauf, weniger Verschlucken und fast normales Laufen. Ich ging davon aus, dass es also Mittwoch noch besser und spätestens am Wochenende wieder am besten sein würde. Hat nicht ganz so geklappt, wie geplant. Es sind 7 Tage vergangen und meine Kraft reicht pro Tag für eine Anstrengung (eine Anstrengung ist z.B. kochen oder eben einen Termin wahrnehmen. Beides an einem Tag ist nicht drin). Ich habe Probleme beim räumlichen Sehen und fühle mich beim Autofahren sehr unsicher, bin unkonzentriert und 23 Stunden und 30 Minuten pro Tag kraftlos.
Ich werde am Ende der Woche zwei einhalb Wochen fast durchgehend in der Schule gefehlt haben.

Die Situation von damals (noch ohne diagnostizierte MS und noch früher auch ohne diagnostizierte Depression): Ich war ich. Und ich war nicht jemand anders – und schon gar nicht jemand anders ohne Typ 1 Diabetes, (Depression) und Beschwerden, die die meisten nicht erst nahmen. Ich habe von mir erwartet, die Belastbarste von allen zu sein. Mein Körper hat gesagt: “STOPP, SOFORT” und ich habe es als “Lauf, Rinchen, lauf” aufgefasst. Wenn das Laufen ein Kriechen war: Egal, ich kann jetzt nicht schon wieder erschöpft sein. Bis ich irgendwann so durch war, dass ich für mehrere Wochen ausgefallen bin. So wie jetzt. Ich habe Wochen oder Monate in der Schule oder beim FÖJ gefehlt.

Das, was mir von damals Angst macht: In der Zeit, die ich gefehlt habe, konnte ich mich nicht entspannen. Ich musste (weil ich meinte, es zu müssen) lernen, nachholen, vorarbeiten, im Kreis rennen, alle Energie gegen mich selbst aufbringen. Irgendwann bin ich wieder los. Auch, wenn das Fieber nicht ganz weg und die BZ-Werte zu hoch waren. Schmerzen waren damals eigentlich eh normal. Aber ich war weiterhin erschöpft und ich habe mir die Energie weiter selbst geraubt. Und wollte in der Schule (sehr) gut und beliebt sein. Ich wollte schön sein. Gesund sein. Taff sein. Und weil ich mich so stresste, war ich nach einer Woche wieder krankgeschrieben. Irgendwann war ich einen Tag anwesend, einen Monat abwesend, einen Tag anwesend, usw. Ich habe keinen Rhythmus mehr gefunden. Und jetzt? Jetzt nehme ich nicht an, dass ich krankgeschrieben bin und denke: Tu dir Gutes. Ich bin krankgeschrieben und denke ab dem Aufwachen: Heute Abend kannst du los. Und klappe dann selbst beim Duschen fast zusammen.
Ich lerne im Moment nicht für die Schule. Weil mein Gehirn es nicht aufnimmt und weil ich versuche, es nicht zu tun. Ich versuche gut zu mir zu sein, für mich zu Sorgen. Aber auch das ist anstrengend, weil es ungewohnt ist. Ich bin besser darin, mich fertig zu machen.

Wie wird das Morgen? Finde ich wieder in den Alltag rein? Wie lange bleibt dieser körperliche Ausfall noch? Wann kommt die Konzentrantion wieder? Schaffe ich es, anzunehmen, weniger belastbar zu sein? Ziehe ich mich nächstes Mal früher aus der Belastung raus oder mache ich weiter, bis es wieder zum einen Tag da, einen Monat weg-sein kommt? Wird alles gut, oder was?
Soweit zum “Leistungsdruck”.

Was da noch ist: Das wird jetzt persönlich, in dollem Ausmaße. In der Tagesklinik war ich in einer Sozialen-Kompetenz-Gruppe. Einmal sollte man eine Aussage über sich in die Gruppe “werfen” und jeder sollte zu dem Thema etwas zu sich sagen. Ich fing an. Unverfänglich: “Ich mag die Ärzte-Konzerte!”. Aber die wollten was anderes hören. “Egal wo ich bin, ich fühle mich nie als Teil einer Gruppe. Ich gehöre nie dazu.”, bums, ausgesprochen, losgeheult. Das war also 2010. Jetzt haben wir 2015. Seit letztem Oktober bin ich in einer Gruppe, in der ich mich zugehörig fühle. Ich fühle mich nicht, als wäre ich so schön oder so belastbar, wie die anderen. Aber trotzdem habe ich einen Platz dort, der mich ein Teil sein lässt.
Zurzeit bin ich viel alleine. Ich bin raus aus diesem zwischenmenschlichen Ding und zweifele daran, wieder rein zu kommen.

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