Ein Vorwort von Saskia und Tine, die diese Blogparade zum Thema “Diabetes und Psyche” initiiert haben: „Leider noch immer ein viel zu großes Tabuthema: Diabetes kommt tatsächlich häufiger zusammen mit psychischen Erkrankungen vor, als wir das vielleicht denken. In dieser Blogparade, die auf den Weltdiabetestag folgt, wollen wir an fünf Tagen das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln heraus aufgreifen, euch von unseren eigenen unterschiedlichen psychischen Erkrankungen berichten, gute und schlechte Geschichten erzählen und ganz ehrlich mit euch sein. Denn wir möchten das Tabu brechen, das Thema weiter zugänglicher machen und Stereotypen endlich aus der Welt schaffen!“
Die große Frage
Ob das noch lange gut geht? Ich meine: Ob es mir noch lange gut geht? Schließlich geht es mir schon viel zu lange gut. Ich kann nicht damit umgehen, wenn es mir gut geht. Das ist einfach so. Wenn in meinem Leben etwas ganz großartiges passiert, falle ich danach in ein Loch, weil ich das nicht verarbeiten kann. Jedes Mal dann der Gedanke: “Ich kann nicht damit umgehen, wenn es mir gut geht.” Darauf folgte keine Konsequenz – ich nahm mir nicht vor, einfach nichts mehr zu machen, das mich glücklich macht. Aber irgendwann war das Gefühl der Vorfreude sofort mit Angst verbunden. Denn ich wusste, was danach kommen wird. Ich fing an, mir selbst einen sehr großen Druck damit zu machen, dass es mir nicht schlecht gehen darf – vor allem nicht in Situationen, die für andere nicht nachvollziehbar sind.
Ganz ohne Vorfreude und nur mit Angst sehe ich jedes Jahr dem Herbst und dann dem Winter entgegen. Die dunkle Jahreszeit. Seltsam, wie anders sich das eigene, gleiche Leben im Sommer anfühlt. Spätestens im August denke ich das erste mal daran, dass auch dieser Sommer nicht unendlich andauern wird – und das, wo man es in diesem Jahr doch fast hätte vermuten können. Drei Monate später sitze ich nun hier und ich kann mich nicht einmal erinnern, wie lange meine letzte depressive Episode her ist. Es geht mir schon so lange gut. Und eigentlich kann ich damit doch gar nicht umgehen. Was hat sich verändert?
Blinzeln, atmen, mich selbst hassen
Meine Depression wird schnell durch Selbsthass getriggert – den Begriff “Unzufriedenheit” überspringe ich nicht nur beim Schreiben, sondern auch beim Wahrnehmen einfach. Ich war darin immer so geübt, mich selbst fertig zu machen, dass es zu einem Automatismus geworden ist. Manchmal sage ich völlig emotionslos, wie schlimm ich mich finde. Das passiert genauso wie blinzeln, atmen und den linken Schuh zuerst anzuziehen. Desto öfter ich in einer depressiven Phase verschwand, desto öfter hatte ich in meiner Welt einen Grund, mich zu hassen. Desto weniger ich ich es schaffte, mich “im Griff zu haben”, desto öfter versagte ich. Der nächste Punkt, der den Selbsthass rechtfertigen sollte.
Und dann habe ich damit aufgehört und hier endet die Geschichte.
So fühlt es sich im Moment manchmal an. Natürlich ist das Quatsch und manchmal pikt der Selbsthass stärker als jede Stechhilfe. Aber bisher bekomme ich das immer wieder abgefangen. Aus dem Gefühl, niemals ohne Psychotherapie leben zu können, ist ein Termin-Rhythmus von vier Wochen entstanden, mit dem ich sehr gut zurecht komme. In dem schlimmsten Zeiten (in denen ich mir selbstverständlich umso stärker verboten habe, in ein Loch zu fallen) überlegte ich mir immer, ab welchem Wochentag ich frühestens “versagen” durfte, um den Zeitraum bis zur nächsten Therapiesitzung dann noch zu überstehen. Muss ich dazu sagen, dass der tiefste Punkt erreicht wurde, sobald ich wieder zu Hause war und es noch 167 Stunden waren, bis ich mir offiziell den Raum für meine Kaputtness gab?
Vielleicht kann man es Seelenfrieden nennen, den ich gefunden habe. Gäbe es eine Tabelle, die die Abstufungen von Selbsthass bis Selbstliebe visualisiert, so wäre ich im Moment auf der guten Seite – und das, obwohl rein objektiv überhaupt nichts anders geworden ist. Im Gegenteil: Ich kümmere mich seit einigen Monaten so schlecht um meinen Diabetes wie wahrscheinlich noch nie und tatsächlich sehe ich das zurzeit als größte Gefahr, die mich aus meinem entzückenden Gleichgewicht schubsen könnte. Ich beschäftige mich absichtlich mit bestimmten Dingen nicht, die mich zu sehr belasten – der Diabetes gehört dazu, ebenso wie viel “Adulting-Kram”.
Was passiert, wenn mir das alles um die Ohren fliegt? Werde ich es wieder als Versagen sehen?
Eine Depression und die Gedanken währenddessen sind nicht steuerbar. Ich weiß nicht, wie es wird, wenn ich wieder mittendrin bin. Das Gute ist, dass ich fest davon ausgehe, dass es irgendwann wieder soweit sein wird. Ich klammere nicht daran, dass es mir für immer gut gehen wird – oder gar muss. Es ist okay für mich, dass es zu mir gehört, als Krankheitsbild und dass ich mich dagegen gar nicht wehren kann – ich bin aber auch nicht das “Opfer” davon, es ist einfach dieses Leben. Und seitdem ich diesen Gedanken habe, geht es mir gut. In dieser Welt heutzutage steht jede_r von uns vor so vielen Aufgaben und es wird vergessen, sich selbst und anderen dafür Respekt entgegen zu bringen.
Der Vergleich, eine Depression sei “als hätte die Seele ein gebrochenes Bein” ist in meinen Augen ausgelutscht und zeigt immer wieder, wie schwer diese Krankheit für viele immer noch zu greifen ist. Eine Depression ist eine Depression ist eine Depression. Das fragwürdige Tabu zu brechen, und darüber zu sprechen/schreiben ist so wichtig. Texte, die ich darüber gehört und gelesen habe, haben es geschafft, mir das Krankheitsbild zugänglicher zu machen als es Fachpersonal vorher je konnte. Wenn ich die Autorin eines Textes bin, der das für andere Menschen schafft, habe ich das erreicht, was ich wollte.
Das schwerste an diesem Beitrag für mich ist, mein “es geht mir gut!” nicht zu relativieren, um mich in einer anderen Verfassung nicht dafür rechtfertigen zu müssen. Denn ich weiß, wie wenige Menschen begreifen können, dass ich nicht versprechen kann, dass es morgen, in einer Woche oder in einem Jahrzehnt genauso sein wird, nur weil ich mich anstrenge, zusammenreiße oder es nur doll genug will. Psychische Erkrankungen sind keine Schwäche und niemand sucht sie sich aus. Darüber muss gesprochen werden.
Folgt dem Hashtag #diabetesundpsyche
In den folgenden Tagen werden Lea (insulea.de – Angststörung, Depressionen und das Danach), Saskia (diafeelings.com – Diagnose Depression), Lisa (lisabetes.de – Wie mir meine Essstörung zu einem neuen Leben verhalf) und Tine (icaneateverything.com – Zeit und Schulterklopfer) ebenfalls als Teil der Blogparade ihre persönlichen Geschichten zum Thema Diabetes und Psyche erzählen.
Da ich selbst seit 30 Jahren Diabetes habe und sehr gut nachvollziehen kann, wie es einem in einem absoluten Tief geht, wenn man sich noch so sehr anstrengt und der Zucker verrückt spielt, man absolut ohne Schwung und Antrieb seine Tage verbringt….ich aber auch anderen Menschen mit Diabetes hilfreich zur Seite stehen möchte, hab ich die Ausbildung zur systemischen Beraterin absolviert. Das alles, gepaart mit meiner Tätigkeit als pädagogische Mitarbeiterin für Menschen mit psychischen Erkrankungen, möchte ich anderen Diabetikern zur Verfügung stellen. Leider gibt es noch zu wenige Psychologen, die auch Erfahrung mit Diabetes haben. Ich finde es außerordentlich wichtig für Aufklärung zu sorgen….
Ich finde diesen Artikel sehr gut geschrieben. Nachvollziehbar und authentisch…. viele Grüße Danny Kesting, Sweet Systems
Sehr sehr toll geschrieben.
Vielen Dank!