Der Wein steht vor mir wie ein Auftrag – ich nehme ihn an. Was ist das, was gerade passiert? Es ist Leben, es ist Sterben, aber was ist das dazwischen… oder danach? Mein linkes Augenlid zuckt während ich denke.
Und ich denke die ganze Zeit.
Bald ist es ein Jahr her, dass ich den bisher größten Schritt aus meiner Komfortzone heraus gemacht habe. Irgendwoher kam der Mut, trotz Angst. Das war das beste daran. Ich hielt mich lange genug für einen nicht-mutigen Menschen, weil ich ängstlich bin. Aber ich habe gelernt, dass sich das gar nicht widersprechen muss. Eine gute Erkenntnis.
Es gibt diese Tage, da ist mir alles zu hoch und zu viel und zu tief und vor allem viel zu wenig. Zu wenig Liebe, zu wenig Empathie, zu wenig Verständnis, zu wenig Wein mit Freunden in Mainz.
Ich bin so emotional im Moment. Aus Gründen und ohne Grund. Mit Tränen und trockenem Mund. In mir sind all diese Sachen, die ich sagen will. Ich will so vieles – sagen und machen. In mir klingt alles wie einer dieser Kettcar-Songs, die man 10x hintereinander hört und jedes mal an der gleichen Stelle, bei den gleichen Lyrics wimmernd mitsingt und eine Hand in die Luft streckt. Und dann fragt man sich, ob es anderen auch so geht, an der gleichen Stelle, bei den gleichen Lyrics. Und dann frage ich mich was sich am besten auf Liebe reimt. Und dieser eine Kettcar-Song antwortet: „Und am besten auf Liebe reimt sich immer noch Angstschweiß.“
Ich weiß gar nicht, wie ich die Kurve wieder bekommen soll, um zu erzählen, dass es mir gut geht. Es geht mir gut! In dieser Sekunde vielleicht nicht so sehr. Wegen zu viel, zu wenig, zu hoch und zu tief. Aber eigentlich wird es auch schon wieder besser. Ich tausche weinen gegen Wein. Und ich bin mir sicher, dass ich die erste Person bin, der dieser Satz jemals durch den Kopf gegangen ist.
Es gibt Dinge, bei denen bin ich mir in den letzten Monaten wirklich sicher geworden. Das hat wieder was mit diesem Mut-Angst-Ding zu tun.
Manchmal denke ich, dass meine Komfortzone für mich eine noch fundamentalere Bedeutung hat als für den Komfortzonen-Ottonormalverbraucher. Meine Komfortzone stützt mich, sie hält mich aufrecht, sie ist immer da. Vor meiner Komfortzone muss ich mich für nichts schämen. In meiner Komfortzone bin ich sicher. Ich bin sicher vor allem. Selbst sicher vor dem großen Glück. Ich denke, es ist okay, in seiner Komfortzone zu leben. Ab dem Moment, wo man in ihr alles vereinen kann, was man braucht. Und deswegen muss ich raus. Ich werde es noch zig mal müssen. Jedes Mal mit dem Gedanken, meine Komfortzone danach ein bisschen besser ausstatten zu können. Der Wein in meinem Kopf sagt, dass ich diese Komfortzonen-Sache wirklich durchschaut habe. Der Kettcar-Song antwortet: „Und sehr schön auf Trost, reimt sich immer noch „Prost“!“
Meine Gedanken werden ein immer größeres Knäuel. Das ist gar nicht so unangenehm, irgendwie ist es weich. In mir ist keine Spannung mehr heute Abend – nichts, was mich aufrecht hält. Ich habe heute genug geweint. Ich habe aber einmal zu wenig folgenden Satz mitgesungen: „Wir wussten von Anfang an, dort wo alles begann / Wir sind am Ende allein, aber alles muss sich reimen.“
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(Niemand muss sich Sorgen machen, mir war einfach nur danach, endlich wieder etwas zu schreiben.)
Dein Nachsatz hat mich wirklich beruhigt, ich war bereits in Sorge.
Die größte Bedrohung der eigenen Komfortzone ist die Veränderung. Sei es die selbst initiierte oder sei es die, die einfach durch zwangsläufige Interaktion mit anderen Lebewesen passiert. Aber diese Veränderungen sind Leben, fordern uns heraus, lassen uns Erfahrungen sammeln und lassen uns wachsen. Auch wenn es sich im ersten Moment nicht sofort so anfühlt.